Donnerstag, 17. Oktober 2013

Wenn ein privilegierter Arsch gekränkt wird...

Wenn darüber nachgedacht wird, was Sozialrassismus bedeutet, wird gerne ausgelassen, was es für die Privilegierten bedeutet. Was bedeutet es jenen gegenüber, die nicht privilegiert sind?
Meistens gehen Privilegierte so damit um, dass sie es bedauerlich finden, wenn sie sich mit den Hässlichkeiten dieser Welt auseinandersetzen sollen/müssen, wozu auch jene Menschen gehören, die eben jene Privilegien nicht geniessen können, die einem das Leben angenehmer machen. Ich - der privilegierte Mensch - habe zwar Privilegien, aber rassistisch bin ich nicht. Im Gegenteil, ich halte nur das Hässliche in der Welt so schlecht aus, und meide es darum...

Darüber kritisch nachdenken, wie sehr das privilegierte Sein dazu beiträgt, voranzukommen, weiter gelangt zu sein als viele andere, kommt den wenigsten Menschen in den Sinn, die ihre Privilegien geniessen können. Falls sie doch von der hässlichen Seite des Lebens über Gebühr berührt werden, - vielleicht weil sie es aus beruflichen Gründen müssen,- merken sie meistens gar nicht mehr, wie sie ihre Sichtweise verändern. Wehrt sich die andere Seite - jene, in der die Menschen agieren die nicht privilegiert sind - behaupten sich diese, dann fühlt man sich plötzlich herabgestossen von dem unsichtbaren Thron.

Da ist einer Chef von Beschäftigten, die sonst wenig Chancen hätten. Die meisten von ihnen kamen über das Jobcenter. Die Bedingungen für alle wurden immer schlechter - für den Chef, weil er die Daumemschrauben anziehen sollte, einerseits - andererseits auch noch disziplinieren sollte. Und da waren welche dabei, die allen Ernstes richtig arbeiten wollten...
Und, so manche hatten nicht die geschliffenen Manieren, die im Arbeitsleben üblich sein sollten.
Sie wehrten sich dagegen als ewige Fussabtreter behandelt zu werden, während sich der Chef mehr und mehr als ein solcher Fussabtreter vorkam. Der privilegierte Arsch war beleidigt worden, sozusagen.

Also, unterstellt der Chef nun, wenn es passt, die üblichen Vorurteile: Unterprivilegierte wollen nicht arbeiten...! Sie verhalten sich grundsätzlich unangemessen...! Sie müssen angetrieben werden...! Sie kapieren nichts, und tun nicht, was man ihnen sagt...!

Er konnte ja nichts dafür, dass es diese Unterschiede gab, - dass er als Chef die Definitions- und Weisungsmacht hatte, usw. Was konnte er dafür, dass es nun dieses System gab, das die Beschäftigten oft noch mehr benachteiligte, als es nötig gewesen wäre?
Er wußte nicht viel von den Sorgen seiner Beschäftigten, und er wollte auch nicht zuviel davon wissen.

Was aber ergibt eine Situation, wenn Schuhabtreter miteinander arbeiten, interagieren, kommunizieren sollen?
Gesucht wird nun ein Chef mit Durchsetzungsvermögen. Das wäre ja noch schöner, wenn sich rebellische, unterpreviligierte Ärsche gegen die sich erhabener wähnenden durchsetzen würden.
Dass das Ganze auch viel mit Sozialrassismus zu tun haben könnte, darüber dachte keiner der Beteiligten nach. Am Allerwenigsten dachte der Chef darüber nach, der sich ebenfalls wie ein Schuhabstreifer vorkam.

Er konstruierte sich damit als Opfer und verharmloste damit nicht nur die Diskriminierung, die Personen erfahren, die von Sozial-Rassismus betroffen sind (und machte gleichzeitig deren Agency und Subjektstatus unsichtbar), sondern auch Sozial-Rassismus selbst.
Es wäre um Verantwortung gegangen, aber ein Schuhabstreifer hat keine...
Verantwortung würde bedeuten über Privilegien hinaus zu gehen, Lebensrealitäten, die nicht eigene sind, wahrzunehmen, anzuerkennen, zuzuhören, wahrzunehmen, Gespräche oder Zusammenarbeit zu suchen (ohne enttäuscht zu sein, wenn sie aus verschiedenen Gründen verwehrt werden, sondern daraus andere Handlungen abzuleiten), Auseinandersetzungen einzufordern, sich nicht nur für Repräsentation, sondern auch für Partizipation einzusetzen (auch wenn es bedeuten kann, dass man seinen Platz freimachen muss), Räume zu er_öffnen, eigene Wohlfühl- und Komfortzonen zu verlassen oder aufzugeben, sich nicht von Kritik befreien zu wollen, sondern kritikfähig zu bleiben, Widersprüche und Unwohlsein auszuhalten und versuchen, einen produktiven Umgang damit zu finden, statt zu verharren, dazu zu lernen, sich nicht als “fertige_n” Menschen zu begreifen.

Aber nein, der beleidigte Abgang, mit den Versuchen zuvor noch, ein letztes Mal aufzutrumpfen, ist wichtiger. Der beleidigte Privilegien-Arsch will gerächt werden, so ist das Empfinden. Damit wird der Chef aber sein Schuhabstreifer-Dasein nicht los.
Besser wäre, sich nicht als besser, mächtiger, privilegierter zu denken, sondern als nicht angepisst.
Besser wäre, auch bei den anderen die Stärken zu sehen - die echten Stärken - und nicht nur jene unterschwellige Aggression, die zwar zu spüren ist, aber wo zu fragen wäre, woher sie kommt und wodurch sie hervorgerufen und verstärkt wird.
Ist es nicht der ähnliche Hintergrund, der auch den privilegierten Arsch seine Kränkung erleiden läßt?

Die Stärken entdecken hätte bedeutet, dass es weniger erschöpfend gewesen wäre, miteinander umzugehen. Wer am Morgen schon die Belegschaft rundmacht, die Putzfrau zusammenschreit, kann nicht erwarten, dass er als tolle Führungsperson angesehen wird.
Wer am Abend vor Feierabend für alle noch einen draufsetzt, kann nicht verlangen, dass die Belegschaft davon schwärmt, wie menschlich der Chef ist.

Genau das aber erwartete er, und er verlangte von der Belegschaft mehr Menschlichkeit. Eingefordert sollte sie werden, irgendwie...
Von Schuhabstreifer zu Schuhabstreifer, sozusagen.

Wie das funktionieren sollte? Das wusste keiner.
Gibt es dafür ein Handbuch?
Vielleicht bei den Psychologen?

Nein, das Handbuch gab es nicht, und so wurde nichts daraus.
Wie gesagt, man sucht einen neuen Chef, der alte wird versetzt.
Ausgeprägte Führungskompetenz, Team- und Motivationsfähigkeit - und vor allem Leistungsbereitschaft und Durchsetzungsvermögen.

Okay, es ist kein bequemer Job und die Belegschaft besteht nicht aus Engeln. Trotzdem...
Es sind keine Tiere - es ist keine Bullenherde, die einen Leitbullen braucht. Es sind keine Schuhabstreifer, auch wenn sie sich ebenfalls so vorkommen, weil sie oft genug so behandelt wurden. Trotz allen verkorksten Zuständen: Es sind Menschen in Zeiten des Sozialrassismus, die einen Menschen bräuchten.